Sonntag, 5. Dezember 2010

Tag 102

Foto: Daniela DeSabato


Parammpammpammpamm... Einen Tag vor meiner großen Reise schicke ich noch einen Logbuch-Eintrag hinaus in die Welt - schön lang und mit vielen Bildchen, eine kleine Entschädigung dafür, dass ich so lange nicht mehr ausführlich geschrieben habe, weder hier noch in Mails. Ich habe aber gute Ausreden ;) Die letzte Zeit vor Schuljahresende war hier nämlich unheimlich viel los! Morgen fangen die Ferien an und für die Kinder hier geht das neue Schuljahr erst am 1. Februar wieder los (für die Lehrer schon am 11. Januar, ab da bereiten wir alles fürs nächste Schuljahr vor, streichen alle Wände neu an und und und). Diese Woche hieß es dann also Abschied nehmen von den Kindern, die nächstes Schuljahr auf eine weiterführende Schule gehen werden: Die 5.- 6.- und 7. Klässler. Die Regierung hat nämlich beschlossen, dass die 6. und 7. Jahrgangsstufe erst wieder hier unterrichtet werden darf, wenn neue größere Räume gebaut werden können - dafür fehlt dem Colegio im Moment leider das Geld.
      Die Abschiedsfeier der 6.- und 7.-Klässler am Dienstag war dann auch sehr bewegend. Die Schüler haben geweint, die Lehrer haben geweint, zu jedem einzelnen Schüler hat unsere Schulleiterin Lourdes schöne Worte gefunden, alle haben sich umarmt... Das war wirklich besonders. Außerdem wurden Theaterstücke aufgeführt, Tänze getanzt - es steckte wirklich Vorbereitung in dem Tag, genauso wie in der Graduations-Feier der Vorschulkinder und Fünftklässler am Freitag. Für die Graduation kriegen die Kinder hier so ein Outfit wie die Studenten amerikanischer Unis. Darin dann auch 5jährige zu sehen war wirklich ulkig.
Erhöhter Schwierigkeitsgrad für all die Vorbereitungen - besonders die Deko: Regen, Regen, Regen. So einen Regen habe ich in Deutschland noch nie gesehen. Eigentlich ist hier an der Küste im Oktober und November Regenzeit. Das heißt zwischendurch regnet es für ein, zwei Stunden sehr, sehr stark, dann scheint wieder die Sonne und es hat 30 Grad (wie jetzt gerade), dann wieder Regen und so weiter und so fort. Aber dieses Jahr ist die stärkste Regenzeit seit 40 Jahren, es wird befürchtet, dass sie auch noch um Einiges länger andauern wird (ich bin dagegen!) und eher zufällig hab ich dann im Internet erfahren, dass Kolumbien den Notstand ausgerufen und internationale Hilfe angefordet hat. Es ist aber auch krass, gerade die Leute, die sowieso schon in armen Verhältnissen leben verlieren durch den Regen alles. Einige Städte sind noch schlimmer betroffen als Cartagena, aber auch hier - nicht weit von meinem Viertel entfernt, sind Häuser einfach in sich zusammengefallen. Und mein Viertel? Wir mussten uns zum Glück noch nie wirklich ernsthafte Sorgen machen, also wir sind hier auf jeden Fall sicher, aber von der Regenzeit kriegen wir trotzdem so Einiges ab: Unsere Straße ist regelmäßig ein Fluss. Das ist nicht übertrieben. Ein dunkelbraunes, schnell fließendes Gewässer, in dem Müll und Steinbrocken mitgeschwemmt werden, und zwischendurch sieht man darin dann ein stecken gebliebenes Auto oder Motorrad-Taxi. Und auchin meinem Zimmerchen ist so manches Mal eine einzige Pfütze, wir haben nämlich an einer Seite keine Fensterscheibe und auch ansonsten ist nicht alles dicht. Fies, wenn dann alle Anziehsachen feucht werden und miefen und wenn man sie wäscht und auf die Leine hängt, gibt es immer noch das Risiko, dass es zwei Tage lang weiterregnet und die Wäsche wieder anfängt zu miefen und man sie wieder wäscht und auf die Leine hängt und... Auch fies, dass man sich, wenn alles so klamm ist, auch ziemlich leicht irgendwelche Bakterien einfängt - mein Immunsystem ist irgendwie nicht so auf der Höhe und immer wenn gerade das eine Ding vorbei war, kam schon das nächste. Diesmal waren's keine schlimmen Krankheiten, aber genervt hat es trotzdem. Und ganz klassisch (wie aus dem Lehrbuch: die Freiwilligendienst-Befindlichkeitskurve) nerven einen nach zwei, drei Monaten auch ein paar andere Sachen. Mit drei stinkenden, nicht stubenreinen Hunden zusammenleben. Weil sie stinken und nicht stubenrein sind. Aber auch mit sechs wohlriechenden, hygienischen Menschen zusammenzuleben kann manchmal Probleme bereiten. Einfach weil wir eben sieben Menschen sind. Aber weil glücklicherweise die Moment ohne Probleme - wo man sich so denkt "Ach wie schön" und ruft "Ohhhh Abrazo, abrazo, abrazo!") - bei weitem überwiegen, fallen die andern Momente nicht so ins Gewicht. Oh, und wir drei Deutschen haben auch ein bisschen Weihnachtsstimmung ins Haus gebracht. Unterstüzt von zahlreichen Stromausfällen (wenn der Regen irgendwas an der Stromversorgung beschädigt, drehen die Stadtwerke zuerst den ärmsten Vierteln den Strom ab - tada, da sind wir immer dabei) - da konnten wir immer die Gunst der Stunde für ein bisschen Kerzenschein nutzen und haben Weihnachtslieder beim Kochen in der dunklen Küche geträllert. Am Mittwoch hatten wir hier dann sogar unsere eigene kleine besinnliche Haus-Weihnachtsfeier.
Unsere kleine Hausgemeinschaft wird sich jetzt allerdings ein wenig zerstreuen. In den Ferien reisen alle irgendwo anders hin und zwei gehen sogar ganz weg. Zum einen Percy, der heiraten wird und zum anderen Alejandra, meine Zimmerkumpanin. ♥.
Das hier war wohl der Tag, an dem wir uns unabsichtlich im Parnerlook gekleidet und die gleiche Frisur gemacht haben. Man gleicht sich halt nach und nach an wenn man immer zusammen ist - zum Verwechseln ähnlich ;)
Für Alejandra haben wir dann Freitagabend noch eine kleine Überraschungs-Abschiedsfeier geschmissen. Der Abend gehört für mich zu den schönsten Momenten, die ich bisher hier erlebt habe. Da hat sich einfach so sehr gezeigt, wie echt die Freundschaften sind, die schon entstanden sind in dieser kurzen Zeit. Und vor allem war die Stimmung nur in genau den richtigen Augenblicken sentimental - in den anderen wurde schön Gitarre gespielt und geträllert und gegrölt und rumgehüpft und getanzt... Wie sich das eben gehört.
Ich bin auf jeden Fall unglaublich froh, dass ich mit Alejandra noch Weihnachten und Silvester (was gleichzeitig ihr Geburtstag ist) feiern und sogar noch zusammen durch die Kaffeezone reisen werde, bevor wir uns verabschieden müssen. 
      Damit bin ich auch schon beim Thema REISEN. Morgen geht's also los und ich bin AUFGEREGT!!!! Erstmal werde ich 8 Tage in San Gil verbringen, das ist eine kleine Stadt von wo aus man viele wunderbare Sachen machen kann (in Wasserfall-Seen baden, kleine Kolonialdörfchen besuchen....), da übernachte ich in einer Jugendherberge, die ganz toll klingt. Danach geht's für eine Woche in die Hauptstadt Bogotá und ab dem 21. Dezember bin ich dann in Cali (und Umgebung) bei Alejandra und ihren Verwandten - die erste Januarwoche reisen wir dann eben noch durch die Zona Cafetera, die wunderschön sein soll. Huiuiuiui!! Und kolumbientypisch steht alles noch nicht so ganz so fest, wie man sich das so ganz deutsch vorgestellt hätte ;) In Bogotá war ich eigentlich auf einer Hochzeit eingeladen, aber die ist jetzt auf Februar verschoben worden, weil das Standesamt keinen Termin mehr frei hatte. Dafür hat mich gestern meine Freundin Andrea angerufen und gesagt, ihre Eltern hätten erlaubt, dass sie mit mir mit nach San Gil reist. Ob sie für morgen noch einen bezahlbaren Flug bekommt ist nicht ganz so wahrscheinlich, aber dafür kommt sie jetzt vielleicht mit mir nach Bogotá. Hier mal ein Foto von ihr:
Wäre auf jeden Fall ein Träumchen wenn das klappen würde. In Bogotá kann ich aber auch beim Bruder meiner Schulleiterin wohnen und besuche eine Familie, die ich auf dem Hinflug nach Kolumbien kennengelernt habe. Aber die erste Woche erstmal allein, allein. Ich gebe mein Bestes, bestmöglich auf mich aufzupassen und vertrau  darauf, dass Gott das sogar noch besser macht. Und ich fahr auch nicht in den Dschungel, wo die Guerillas sind und für die langen Strecken nehme ich auch keine Busse, zum Glück hab ich noch gute Flüge gefunden. Ich freu mich wahnsinnig darüber, jetzt mal was völlig Anderes zu erleben und San Francisco und das Schulgelände mal hinter mir zu lassen. Wer weiß, was ich so alles erleben werde. Wenn ich's schaffe, meld ich mich von Internet-Cafés und es kann mich auch jederzeit jeder mit Billig-Vorwahl auf meinem kolumbianischen Handy erreichen - einfach nach der Nummer fragen, dann schick ich sie :)
      Jetzt packe ich auch mal schleunigst alle meine Sachen in meinen schönen, großen, grünen Rucksack! Zum Glück hat nämlich gestern und heute die Sonne geschienen und meine Wäsche ist tatsächlich trocken geworden! Juhu! 
      Und für Euch gibt's noch ein paar Eindrücke vom Leben hier an der Schule.
Das nächste Bild hat sich leider nicht gedreht hier einfügen lassen, aber wenn ihr den Kopf schief legt, seht ihr mich in unserer top ausgestatteten Küche :) Da mache ich gerade Arepas - Maisemehl-Pfannkuchen. Und dieser spezielle Arepa ist dann auch meine Abschlussbotschaft an Euch ;)