Samstag, 5. Februar 2011

Tag 164

Fünf Wochen durch Kolumbien. Um alle Sorgen gleich zu Anfang mal in den Wind zu schlagen: Mir wurde kein Haar gekrümmt und nicht ein Peso gestohlen (außer vielleicht an der Supermarkt-Kasse, da runden die hier die Preise immer auf). Hab also mal wieder guten Grund zum Dankbarsein. Und auch ansonsten. Zum Beispiel war mein Glück mit dem Wetter eigentlich schon absurd. Bogotá? Vier Monate Regen. Ununterbrochen. Aber dann eine Woche Sonnenschein für Leila. Sieben Stunden wandern? Sonneschein. Danach DVDs gucken im Hostel? Regen. 

Anfang Dezember wieder am Flughafen Cartagena zu sein war schon ein irres Gefühl. Als ich da im August angekommen bin, hatte ich ja noch keine Ahnung, was auf mich zukommen würde. Und jetzt, schon mit meinem eigenen kleinen kolumbianischen Lebensabschnitt im Gepäck (um mal ein bisschen schwulstige Metpahorik einzubringen - eigentlich bestand mein Gepäck nämlich aus einem großen, grünen Rucksack) ging’s also viel zu früh am Morgen wirklich los. Und zwar erstmal ganz alleine. Papa und großer Bruder waren gar nicht mal so angetan davon, dass ich mir für die erste Allein-allein-Backpacker-Erfahrung gerade dieses Land ausgesucht habe. Aber „the only risk is wanting to stay“ sagt ja schon die Kolumbien-Werbekampagne und nach 20 Minuten allein fühlen, hab ich dann bemerkt, dass die Chance in einem Hostel allein zu bleiben gegen null geht und mich mit einem slowenischen Pärchen und zwei Belgierinnen an einem kolumbianischen Esstisch wiedergefunden. Und zwar in San Gil, einem sehr süßen, kleinen Örtchen, das als Outdoor-Capital Kolumbiens bekannt ist. Wenn schon, denn schon, hab ich mir also gedacht und mich für den ersten Tag direkt mal in die Paragliding-Liste eingetragen. Und ja, was soll ich sagen…?
Wie bequem in einem fliegenden Sofa sitzen. Und unter mir der Chicamocha-Canyon. Gutes Leben.

San Gil ist außerdem… Eine Höhlenwanderung, bei der man an manchen Stellen nur weiterkommt, wenn man taucht; jeden Tag zum Markt schlendern und frischen Mango-Saft schlürfen (oder auch mal ‘nen Mango-Karotten-Saft, weil ich Naranja (Orange) und Zanahoria (Karotte) nicht auseinander halten kann); in einem Wasserfall duschen; Gespräche von Hängematte zu Hängematte im Hostel-Innenhof; abends mit allen am Plaza sitzen… Oh und Barichara. Ein kleines Kolonial-Dörfchen ganz in der Nähe, von dem aus man zu einem noch kleineren Kolonial-Dörfchen wandern konnte.  
Ganz wichtig auch in Barichara: Die Spezialität der Santander-Region probieren.
„Hormiga Culona“ bedeutet wörtlich übrigens Fett-Arsch-Ameise. Und ich hab sie wirklich gegessen :) .
Als nächstes ein kurzer Abstecher in die Stadt mit dem abenteuerlichen Namen Bucaramanga, die letztendlich leider vor allem verwinkelte Straßen zum Verlaufen anzubieten hatte. Und – immerhin – ein Lokal, in dem nur die Beatles und Simon and Garfunkel gespielt wurden. Außerdem: Ein Flugzeug nach Bogotá. 

Und in der Hauptstadt wurde ich dann nicht nur – wie erhofft – von meiner Freundin Andrea (hier aus Cartagena), sondern – spontan entschieden, mitzukommen – auch noch von unserem Kumpel Federico erwartet. Die beiden hatten auch schon eine ziemlich geniale Übernachtungsmöglichkeit gefunden: Couchsurfing. Nachdem es mir schon Spaß gemacht hatte, in Düsseldorf Leuten eine Couch anzubieten, kam ich jetzt also mal selber in den Genuss. Sebastián, ein waschechter Bogotaneraner, hat uns wirklich die ganze Woche bei sich übernachten lassen. Und nicht nur das: Er und seine Freundin Céline, die dann noch aus Frankreich zu Besuch kam, sind auch die ganze Woche mit uns herumgezogen. Das war Gold wert, denn in dieser 7-Millionen-Stadt könnte man ansonsten schon ziemlich leicht den Überblick verlieren. 

Jeder einzelne Tag sah total unterschiedlich aus. Tick. In einer Salzmine ‘rumstreunern, wo die Minenarbeiter unter der Erde eine riesige Kathedrale in den Salzstein gehauen haben? Tick. Zu thermalen Quellen wandern? Tick. Durch die graffitikunstvollen Altstadtgässchen spazieren und Bogotá-typisch Käse in die heiße Schokolade tunken (im Gegensatz zu den Ameisen wirklich lecker!)? Tick. Tick. Tick. Tick…
Außerdem gibt’s in der Hauptstadt natürlich die besten Museen. Gut wenn man dann, nach einem Tag voll mit Kulturprogramm seinem Kopf auch mal wieder ‘ne Auszeit gönnen kann. Und zwar beim Tejo spielen. Tejo – Man suche sich eine alte, heruntergekommene Lagerhalle (in die man sich ohne Kolumbianer nie trauen würde), in der man ein paar biertrinkende, tejospielende Opis antrifft und dann:  Bleigewichte werfen und versuchen die Schießpulverplättchen zu treffen, die auf einem Lehmhaufen rumliegen (siehe Foto, hinter Sebastián und Céline). Wenn man trifft gibt’s einen lauten Knall. Absolut sinnloses Spiel. Sehr viel Spaß. Um Längen besser als Kegeln.
Und eines Abends fand ich mich dann auf einer Familien-Vorweihnachtsfeier in der High Society Bogotás wieder. Wenn man bedenkt, dass ich hier in Cartagena ja im Armenviertel lebe, war es schon eine skurille Situation sich beispielsweise mit einem Krokodil-Farm-Besitzer und der Anwältin eben jener riesigen  „Colombia – the only risk is wanting to stay“-Tourismus-Kampagne zu unterhalten. Aber: Die Menschen waren so unglaublich herzlich und natürlich und un-versnobt, dass ich einfach einen wunderschönen Abend mit lauter interessanten, aufgeschlossenen Menschen verbringen konnte, die zwischendurch mit Rasseln und Trommeln und ziemlich viel Lachen typische Adventslieder geträllert/gegrölt haben. Und ich kam mir wieder mal einfach nur beschenkt vor, was ich hier so alles mitbekommen darf. Dieser Abend kam für mich nur zustande, weil ich ein Familienmitglied auf meinem Hinflug nach Kolumbien verzweifelt „Do you speak English?“ gefragt hatte, um herauszufinden, ob mein Anschlussflug ausfällt. Absolut genial, wie sich das ergeben hat!
Und als wir dann mal einen Abend einfach nur entspannt in Sebastiáns Wohnung saßen, habe ich die Zeit genutzt, um mal meine eMails nachzuschauen. Und hatte da doch wirklich die Zusage vom King’s College London, meiner absoluten Wunsch-Uni, mit deren Antwort ich erst in Wochen oder Monaten gerechnet hätte. Die ganze Truppe hat sich so sehr mit mir gefreut und wenn ich das so aufschreibe, kann ich noch immer nicht ganz glauben, dass ich tatsächlich da studieren kann (wenn ich stipendienmäßig alles ausgetüftelt kriege). Wer weiß? Vielleicht kommen mich meine Bogotá-Freunde ja irgendwann da besuchen, um die nächste Hauptstadt unsicher zu machen ;) .

Nächster Halt: Cali und Umgebung; meine Zimmerkumpanin Alejandra und ihre Familie besuchen.
Erstmal entspannte Weihnachtstage. Ich war sehr glücklich, dass ich Heiligabend mit so einer guten Freundin zusammen in einem richtigen zu Hause verbringen konnte. Insgesamt ist es hier aber nicht so eine große Sache wie in Deutschland (insbesondere in unserer Hausgemeinschaft). Ausgiebiger wird stattdessen Silvester gefeiert – und das war dann auch gleichzeitig Alejandras Geburtstag. Für diese beiden Anlässe haben sich sämtliche Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins in einem kleinen Dörfchen namens Chambimbal versammelt. Das war vielleicht ein Gegacker :) ! Und als 2011 in Deutschland schon seit sechs Stunden angebrochen war, sind dann auch wir alle nach draußen gerannt um ein Feuerwerkchen und die in Flammen aufgehenden Altes-Jahr-Puppen anzuschauen.
Und dann kam noch das Beste. Ganz klassisch zum Schluss.
Mit Alejandra durch die Kaffezone reisen. Schon die Busfahrt dahin war unglaublich. Hügel über Hügel, mit den verschiedenartigsten Palmensorten bedeckt und leuchtend grün in der Nachmittagssonne. Ich kam mir so sehr „in Südamerika“ vor. Und ich hätte noch ewig in dem Bus sitzen können, aber irgendwann sind wir doch in Manizales angekommen.
Unumstößliches Naturgesetz dieser Reise: Wo Alejandra und ich hinkamen, fingen die Ferias an. Schon in Cali hatte das große, einmal im Jahr stattfinde Salsa-Festival – die Feria de Cali – genau dann angefangen, als wir zum ersten Mal in die Stadt reingefahren sind. Und in Manizales kamen wir dann – ungeplant – ebenfalls pünktlich zum Auftaktabend mit Pferdeshow im Stadtzentrum an.
 
Aber anstatt auch jeden Tag zum Stierkampf zu rennen, wie die meisten Feria-Touristen, haben wir uns für die „normalen“ Manizales-Aktivitäten ausgesucht. Zum Beispiel, einen aktiven Vulkan hochzufahren. Klingt nach Lava, Asche und Hitze, war aber arschkalt.
Gott sei Dank für die Jacken und Handschuhe, die wir uns im Hostel ausleihen konnten. Und für Coca-Tee. So lecker. Und hilft auch gegen Höhenschwindel – praktisch, wenn man sich gerade irgendwo zwischen vier- und fünftausend Metern überm Meeresspiegel befindet. Absolutes Highlight an diesem Tag: Alejandra sieht zum ersten Mal Schnee. Unbezahlbar, der Gesichtsausdruck!

Kaffeezone, also natürlich auch eine Kaffefarm besuchen („all you can drink“ im Besucherpreis inbegriffen) und lernen, dass sämtliche schöne Kaffeebohnen exportiert werden; in Kolumbien bleiben nur die hässlichen, miesen Bohnen. Gemein. Mindestens auf der Farm haben wir mal hochqualitativen kolumbianischen Kaffee bekommen. Ist aber irgendwo aber auch nicht so wichtig, hier sind so oder so alle kaffeesüchtig, schon die Kindergartenkinder.
Noch Zeit übrig? Wie könnte man die besser verbringen, als sich an ein Drahtseil schnallen zu lassen und über Los Yarumos (siehe Foto unten) und – noch weiter unten – die Stadt Manizales zu fliegen. Und dabei selbstverständlich zu schreien wie am Spieß.
Und dann in luftigen Höhen über ein Hängebrücken-Seil balancieren. Für jemanden, der gedacht hat, Höhenangst zu haben, hab ich mich definitiv ganz gut geschlagen, diese Ferien ;).
Nachdem wir am dritten Morgen noch zufällig über die Auftaktveranstaltung der „Feria de Café“ gestolpert waren, ging’s dann weiter in das bunte Dörfchen Salento. Pünktlich zum – wie sollte es auch anders sein? – ersten Abend der dortigen Feria. Da habe ich das größte Militäraufgebot miterlebt, was ich in Kolumbien bis jetzt gesehen habe.
Allerdings auf der Bühne. Tanzend und singend.



Und dann kam noch, worauf ich mich schon sehr lange gefreut hatte: Die Wanderung ins Valle del Cocora. Vorbei an Wachspalmen, Wachspalmen, Wachspalmen – höchste Palmenart der Welt und Kolumbiens Nationalbaum. Und bergauf, bergauf bergauf… Aber der Muskelkater am nächsten Tag war es so sehr wert:


Weil ein Muskelkater nicht genug ist, hab ich mir direkt am nächsten Morgen einen zweiten zugelegt und bin (wohlgemerkt war meine letzte Erfahrung in der Art ein bisschen Herumtraben auf einem Ponyhof im Harz vor 10 Jahren) mit Don Alvaro, einem niedlichen, alten Salentoaner grüne Hügel rauf und runtergaloppiert.

Würdiger Abschluss für die Kaffezonenreise, die wirklich mein Lieblingspart der ganzen Ferien war. Die Erlebnisse mit Alejandra teilen zu können war sehr besonders und der Abschied von ihr fiel dann ziemlich schwer. Aber eigentlich ist auch das irgendwo schön – dass es hier in Kolumbien jetzt Menschen gibt, die ich wirklich meine Freunde nennen kann.
 
Ja. Mittlerweile bin ich schon seit über drei Wochen wieder zurück in Cartagena. Und: Ich LIEBE es. Bei all meinen Ferien-Erlebnissen habe ich mich zwischendurch gefragt, ob es nicht ganz schön hart werden wird, wieder in meiner Schule „hinter Gittern“ zu hocken, mit all dem Putzen, mit dem Essen, dass ich mir nicht so schön aussuchen kann wie beim Alleine-Herumstrolchen, mit Alltagsroutine und Stress… Aber die Antwort ist ziemlich simpel. Nein, es ist nicht hart. Sondern so schön, dass ich im Moment den Gedanken, schon Ende April hier wegreisen zu sollen trotz der großen Wiedersehensvorfreude sogar ziemlich beängstigend finde. Ob es hier schwierige Momente gibt? Sicherlich. Aber:
 
Ich liebe, wie ich morgens bei perfekter Temperatur und perfekter Brise über den Schulhof schlafwandle, um mir die Zähne im Schul-Bad putzen zu können (zumindest dann, wenn ich wach genug bin, um den Moment wertzuschätzen). Ich liebe es, wie die Freundschaften zu meinen Mit-Freiwilligen Gitti und Daniela immer tiefer werden und wir immer mehr kapieren, dass auch alle Konflikte, die man so auszuhalten hatte, uns tatsächlich weiterbringen. Ich liebe, wie wir am Frühstückstisch auf einmal in Improvisations-Theater ausbrechen und dann früher oder später in einem Lachkrampf. Ich liebe es, mir Zitate von mir selbst zu merken, die in Deutschland eher untypisch wären (Meine Favoriten: „Weißt Du, Daniela, das Einzige in diesem Kühlschrank, was mir und mir allein gehört ist mein Lebertran.“; „Als ich aufgewacht bin, hat mein ganzes Zimmer nach Aas gestunken!“ (Weil ein toter Leguan vor meinem Fenster lag.); „Was, wir haben Strom? Ich bin ganz überfordert!“). Ich liebe es, mir mit Larissa, einer anderen Cartagena-Freiwilligen, die neuen Doctor’s Diary-Folgen anzuschauen und von Kolumbien aus Marc Meier anzuschmachten. Ich liebe es, wie viel mir zugetraut wird. Die Kinder haben erst morgen wieder ihren ersten Schultag, aber es gab den ganzen Januar über schon so einiges zu tun. Abgesehen von Wändestreichen und Stühleputzen wurde ich gefragt, ob ich als Sekretärin aushelfen kann, bis wieder eine neue Schulsekretärin auftaucht. Und jetzt, wo das geklärt ist, bin ich gerade dabei den Jahreslehrplan für den Englischunterricht in allen Klassen zu schreiben. Ich kann mich noch so gut daran erinnern, wie ich hier ankam, mit meinem brachialen Spanisch, und mich gefragt habe, ob ich hier nur so für die Erfahrung bin oder ob ich wohl jemals auch tatsächlich hilfreich für die Schule sein könnte. Und jetzt bin ich das und so froh darüber.

Gerade stand ich bis Mitternacht mit zwei Nachbarn hier auf der Straße, mitten in meinem San Francisco, mitten auf der schmutzigen Avenida Principal. Gelacht und geredet und gelacht und geredet. Und ich kann einfach hier dazugehören. Ganz genau das liebe ich. 

2 Kommentare:

  1. Hola Leila, das glaube ich dir gern, das dir Kolumbien gefällt. Nimm viele Eindrücke mit zurück nach Deutschland. Es sollte mich wundern, wenn du nicht einmal wieder herkommen möchtest.
    Viele Grüße aus der Kaffeezone

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  2. Hey leila! Nice review of our travel! its was nice to chill and have fun around bogota! , nice memories! and awsome pictures :))

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