Freitag, 1. April 2011

Tag 219


Kaum hatte mich der Arbeitsalltag wieder, wurde ich auch schon wieder zu einem Kurzurlaub gezwungen :) . Und zwar vom kolumbianischen Staat höchstpersönlich. Der hat nämlich gemeint, nach sechs Monaten wär auch mal der Ofen aus und ich solle kurz über eine Grenze und wieder zurück. Also: Panama, Venezuela, Ecuador, Peru, Brasilien? Nach viel Hin-und-her-überlege habe ich mich dazu entschieden, zwei Fliegen mit einer Klappe und viele Mosquitos mit meinen Händen zu schlagen: Ab nach Leticia, wo Kolumbien sowohl an Peru als auch an Brasilien stößt. Und die Grenzlinie? Der Amazonas.

„Amazon Basin“ war das einzige Kapitel in meinem zerfledderten Lonely Planet, bei dem ich immer seufzend gedacht habe „Verpasst.“. Dass ich da jetzt doch noch gelandet bin! Und nach Karibik-Traumständen, schneebedeckten Vulkanen und Kaffeezonenhügeln konnte ich so noch eine Facette dieses (schon fast übertrieben facettenreichen) Landes kennenlernen: Regenwald.
Als das Flugzeug gelandet ist, hat man aus dem Fenster tatsächlich nichts als ein Meer von grünen Bäumen gesehen. Ohne Ende. Leticia und das direkt angrenzende brasilianische Tabatinga sind die einzigen kleinen Städtchen weit und breit. Ansonsten gibt es ein paar Dörfer und viele Eingeborenen-Stämme. Irgendwo sogar noch Kannibalen, hab ich vernommen.
In Leticia gibt’s aber richtige Straßen und all das. Mit richtigen Motorrädern drauf, aber fast keinen Autos. Deshalb hab ich die Gelegenheit am Schopf ergriffen, mich endlich auf die Mototaxis zu trauen. Und durfte feststellen, dass es wahnsinnig viel Spaß macht. Mit einem klapprigen Attrappen-Helm auf dem Kopf durch ein Amazonas-Städtchen brettern – wenn mir bei meinen Vor-Abi-Klausuren jemand erzählt hätte, was ich ein Jahr später so machen würde.

Am ersten Tag ging’s direkt nach Santa Rosa, ein aus einer einzigen Straße bestehendes Dorf in Peru, das man durch eine Fünf-Minuten-Bootsfahrt erreichen kann. Eigentlich bin ich nur hin, um meinen Peru-Einreisestempel zu holen. Aber als mein Bootsfahrer mitten auf dem Amazonas angehalten hat, um mir links Brasilien, rechts Kolumbien und geradeaus Peru zu zeigen, war das auch nicht von schlechten Eltern.
Und am nächsten Tag eine Dschungel-Tour! Die größte Seerosenart der Welt bewundern. Einen Blick auf die rosanen Delfine erhaschen, die es nur im Amazonas gibt. An einer Liane schwingen (aber eigentlich nur fürs Foto posen). Zur Affeninsel schippern. Affeninsel? Tja. Da wurden Pippi-Langstrumpf-Träume wahr. Affen, die kleine Affenbabys tragen und sich dann auf Deine Schulter schwingen oder auf Deinen Kopf, oder – wenn man eine Banane in die Hand nimmt – auch gleich noch fünf Freunde mitbringen. War begeistert bis zu dem Moment, in dem zwei von den Viechern auf der Jagd nach der nächsten Banane gegen meine Kamera gesprungen sind. Aus der Hand gefallen, auf dem Boden gelandet, Objektiv eingedellt, kein Fotoschießen mehr möglich. Das hätte Herr Nilsson nie gemacht!
Ein paar vergossene Tränchen (Papas gute Kamera!) und ein Eingeborenentänzchen später habe ich dann aber beschlossen, meinen Dschungeltag trotzdem noch zu genießen.
Im wohl umweltfreundlichsten Örtchen der Welt (oder zumindest Kolumbiens: kein einziges Motor-Vehikel, dafür Mülltrennung) sind wurde gerade eine wichtige Fußball-Schlacht geschlagen: Kolumbien gegen Peru. Nicht die richtigen Nationalmannschaften. Aber richtige Kolumbianer und richtige Peruaner. Bemerkenswert übrigens, wie unterschiedlich die Leute in der Region im Vergleich zum Rest Kolumbiens aussehen!
Letzter Stopp: Puerto Alegría. Ich war schon deshalb glücklich, dass auch ein peruanisches Eingeborenen-Dorf mit auf dem Programm stand, weil ich ja irgendeinen Ort in Peru angeben sollte, in dem ich mich aufgehalten habe. Aber als wir dort ankamen wurde dieses Dörfchen in Sekundenschnelle zu meinem Lieblingsort am Amazonas  auserkoren. Da kam ein Haufen unglaublich süßer, kleiner Kinder gerannt und jedes mit Maskottchen. Schildkröte in der Hand, Faultier auf dem Arm, Äffchen auf dem Kopf wie eine Mütze. Und an einem Baum an einer Stoffleine: Ein kleiner Jaguar. Der war der Einzige, den wir nicht selber streicheln oder auf den Arm nehmen durften. Diese zuckersüßen Kinder waren ein so schöner Anblick, dass ich beschloss, meiner Kamera eine letzte Chance zu geben. Mit einer Erhörung meiner Stoßgebete hab ich zu dem Zeitpunkt eigentlich schon lange nicht mehr gerechnet. Wie dem auch sei. Von einem Moment auf den andern hat sie – Delle im Objektiv hin oder her – einwandfrei funktioniert. Da hab ich schnell ein Foto vom Jaguar geschossen und Puerto Alegría noch lieber gehabt als vorher.
Montags bin ich dann wieder aus Peru „ausgereist“ und habe eine brandneue Kolumbien-Aufenthaltsgenehmigung gestempelt bekommen. Endlich muss ich mich nicht mehr fühlen wie eine Illegale kurz vor der Abschiebung :) . Dann noch mit einer auf der Dschungel-Tour-Freundin zum brasilianischen Dorf Benjamin Constant tuckern. In Brasilien gab’s nicht viel zu sehen, aber man konnte leckere Schokolade kaufen. Und auf einmal von Kindern umgeben zu sein, die auf Portugiesisch herumbrabbeln, hat mich daran erinnert, dass das Costeño-Spanisch unserer Schulkinder für mich am Anfang genauso ein unverständliches Kauderwelsch war. Wenn eins der Kinder jetzt was vor sich hinnuschelt und ich tatsächlich verstehe, was es will, bin ich manchmal richtig stolz auf mich.
Auch am Amazonas habe ich übrigens mitbekommen, was sich im Februar so am Nil abgespielt hat und als der Präsident sich endlich verzogen hatte, konnte ich aus einem Internetcafé im Regenwald eine Nachricht an meine Familie in Kairo schreiben. Schon die Wochen zuvor sind meine Eltern und Youssef abwechselnd als Exklusiv-Telefon-Reporter für mich eingesprungen. Und zum Glück gibt’s Spiegel-Online, denn von unserer kolumbianischen Tageszeitung waren keine tiefschürfenden Infos zu erwarten. Gegen den „Q’hubo“, so heißt das Blättchen, erstrahlt selbst die Rheinische Post in ganz neuem Glanz (wenn die Kinder im Kunstunterricht Zeitung auf dem Boden ausbreiten sollen, muss ich die Zeitungsblätter immer auf die „richtige“ Seite drehen, damit unser Klassenzimmer nicht mit nackten Q’hubo-Frauen gepflastert ist).
Nach vier Tagen Dschungel zurück – einmal diagonal über ganz Kolumbien – zur karibischen Küste. Dank Nebenwirkungen meiner Malaria-Präventions-Tabletten („Wie oft soll ich die nehmen?“ – Apothekerin: „Ach, hm, mach’s mal so dreimal am Tag!“) blieb mir auch zurück in Cartagena noch ein paar Tage das Gefühl erhalten, ich befände mich auf einem schaukelnden Amazonas-Bötchen. War aber auf jeden Fall richtig schön wieder „nach Hause“ zu kommen. Ich hatte meine Leute schon vermisst.
Und wer sind meine Leute eigentlich? Unsere kleine Hausgemeinschaft ist in den letzten Wochen auf ganze neun Personen angewachsen. Nachdem es im Januar nur Hugo und Lourdes, das Schuldirektoren-Ehepaar, und wir drei deutschen Mädels waren, haben wir wieder Zuwachs bekommen: Hugos Bruder Percy, frisch verheiratet, hat sich entschieden, weiterhin im Colegio zu arbeiten und hat seine Frau Aura gleich mitgebracht. Hugos und Percys Bruder Lucio ist einfach so für ein/zwei Monat mit von der Partie (somit haben wir jetzt drei Peruaner, drei Deutsche und drei Kolumbianerinnen im Haus). Und die dritte Kolumbianerin? Alejandra! Am Ende hat sich meine Zimmerkumpanin doch dazu entschieden, nach Cartagena zurückzukehren. Nach dem traurigen Am-Flughafen-verabschieden gab’s also ein umso glücklicheres Am-Flughafen-abholen und das Etagenbett in meinem Zimmer ist wieder auf beiden Stockwerken bewohnt :) .
Außerdem: Unsere Freunde hier aus dem Viertel. Niemand lacht so laut wie Merly, die zwei Häuser weiter wohnt und auch im Colegio arbeitet. Noch näher, nämlich direkt gegenüber wohnen Henry und Wilmer (Brüder und auch Lehrer hier) und ihre große Schwester Kety (deren zuckersüße Tochter Zarai schon ein paar mal für mein Kind gehalten wurde).  Die haben auch einen Balkon, auf dem man abends wunderbar die Brise genießen und das ganze Viertel überblicken kann. Und reden, reden, reden. Auch nachts noch an unserem gelben Gittertor zu stehen und zu quatschen ist jetzt schon ein Klassiker.
Und natürlich: Die Kinder. Ich bin noch bis zum Ende meiner Zeit hier die offizielle Englisch-Lehrerin für die Erst- bis Viertklässler. Das kann ganz schön herausfordernd sein (und ist mit Unterrichten an deutschen Grundschulen einfach nicht vergleichbar). Da kann es vorkommen, dass ich vor einem Haufen wahnsinnig süß aussehender Kinderchen stehe und sie tatsächlich richtig anschreie. Kann man sich kaum vorstellen, ne?  Aber wenn die Kinder ihrerseits schreien und einfach anfangen zu tanzen oder sich auf dem Boden zu wälzen muss man sich halt irgendwie Gehör verschaffen. Umso schöner dann die Unterrichtsstunden, wo wirklich alle zuhören und ich am Schluss sogar die schlimmsten Jungs auf die Smiley-Liste schreiben kann. Einen Zweitklässler, der mich (und nicht nur mich) letztes Jahr an den Rand der Verzweiflung getrieben hat, habe ich mittlerweile sogar richtig ins Herz geschlossen: Enoc (siehe allerletztes Foto).
Hier noch ein paar Bilder und Videos von all diesen schönen Menschen:
San Francisco pur: Die Musik unserer Nachbarn ist normalerweise noch sehr viel lauter als in diesem Video (bzw. es können auch mal drei verschiedene Lieder von drei verschiedenen Nachbarn gleichzeitig sind). Hier war’s aber mal eine passende Untermalung für Gitti, Dani, Margarita und Henry beim Aufwärmen vor dem Fußballtraining. Und die am Schluss in frenetischen Jubel ausbricht ist meine Alejandris ;) .
Und Daniela, Wilmer und Gitti feilen dann in letzter Minute noch an der genialen Fußball-Strategie.

Wochenenddienst = Putzen, kochen, putzen, kochen, putzen, waschen, kochen, putzen. Hier sieht man mich mit meinem guten Freund, den Alien-Wischmop sowie Dani, die ihr Glück über den frischen Tannenbaum-Lappen kaum fassen kann.
(Beide Fotos von Daniela De Sabato)

Bei der Schülersprecher-Wahl durften alle Jahrgänge mitmachen, auch die Kindergartenkinder. Hier erklärt Profesor Percy gerade einem, wie man ein X macht :) .
Merly und die Kleinsten.
Brüder.





Tja, bei 90 Kinderchen kann man bei Schulschluss ganz schön erschöpft sein. Dann entspanne ich am liebsten auf meinem Lieblingsplatz, dem gelben Autoreifen am Spielplatz. Oder wir nutzen es aus, dass wir in so einer schönen Stadt leben…
Mit einer Burg, in deren dunklen Tunneln man sich wunderbar kreischend verlaufen und unter deren Fahnen man schön patriotische Fotos schießen kann.

Und mit Luxus-Hotels, in die man ja auch einfach so mal ‘reinspazieren kann. Dem folgendenden Bild haben wir den Titel gegeben:
„Wir leisten Freiwilligendienst in Kolumbien. Helfen auch Sie. Spenden Sie jetzt.“

Foto von Daniela De Sabato
Beide Fotos stammen vom letzten Wochenende, da hab ich nämlich einen kleinen Cartagena-Touri-Rundumschlag gemacht. Nach sieben Monaten endlich mal alles in dieser Stadt erkunden, was man schon seit dem ersten Monat ausprobieren wollte. Aber wichtiger als all das ist mir eigentlich, noch so viel Zeit wie möglich mit meinen Freunden hier zu teilen.

Und den Kindern. Von denen gibt's hier zu guter Letzt noch meine besten Fotos.





Ich bin glücklich. Hoffe sehr, all meine schönen Menschen am Rhein sind es auch. .

2 Kommentare:

  1. Es ist so wunderbar von dir zu lesen :)
    Deine Elli in Wien freut sich mit dir!

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  2. Hallo Leila coole seite! liebe grüsse ........

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